Zoho CRM, Inventory, Books und Flow: Tutorial zur ERP-Migration und Stammdatenstrategie

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Vom Silo in die Cloud: Eine praxiserprobte Strategie zur Migration von Legacy-ERPs zu Zoho

Stehst du auch vor der Herausforderung, dein Unternehmen von einem in die Jahre gekommenen, starren On-Premise-ERP-System zu befreien? Viele etablierte KMUs sind in Systemen gefangen, die nicht mehr den heutigen Anforderungen an Flexibilität, Skalierbarkeit und Konnektivität entsprechen. Die Migration zu einer modernen, cloud-basierten Plattform wie Zoho One ist oft der logische nächste Schritt. Doch die größte Hürde ist häufig nicht die neue Software, sondern der Datenexport aus dem Altsystem. Insbesondere wenn der ursprüngliche Anbieter die Kooperation verweigert und den Zugriff auf deine eigenen Daten erschwert, ist eine durchdachte Strategie gefragt. Dieser Artikel zeigt dir einen praxiserprobten Weg, wie du diese Hürde meisterst und eine saubere, zukunftsfähige Systemarchitektur auf Basis von Zoho aufbaust.

Das Praxisbeispiel: Wenn der alte Anbieter den Datenzugriff blockiert

Stell dir ein typisches mittelständisches Handels- oder Dienstleistungsunternehmen vor. Seit Jahren läuft das Kerngeschäft über ein branchenspezifisches, deutsches ERP-System, beispielsweise eine Lösung wie Microtech BüroPlus. Die Software ist auf einem lokalen Terminalserver installiert, die Daten liegen in einer proprietären Datenbank. Das Ziel ist klar: Umstieg auf eine integrierte Suite wie Zoho One, um Vertrieb, Lager, Buchhaltung und Kundenservice zu vernetzen.

Die zentrale Herausforderung beginnt mit einer einfachen Anfrage an den Support des Altanbieters: „Wie bekommen wir einen vollständigen Export unserer Stamm- und Bewegungsdaten?“ Die Antwort ist oft ernüchternd und vage: Es gäbe keine Standard-Exportfunktion, keinen direkten SQL-Zugriff, und man müsse aufwändige, teure Dienstleistungen buchen. Dieses Verhalten, auch bekannt als „Vendor Lock-in“, ist ein strategisches Manöver, um Kunden im eigenen Ökosystem zu halten. Genau an diesem Punkt beginnt die eigentliche technische und strategische Arbeit für eine erfolgreiche Migration.

Schritt-für-Schritt zur Lösung: Die Architektur deines neuen Zoho-Systems

Eine erfolgreiche Migration ist kein reines IT-Projekt, sondern eine strategische Neuausrichtung deiner Daten- und Prozesslandschaft. Die folgende Anleitung führt dich durch die entscheidenden Phasen.

Schritt 1: Die strategische Entscheidung – Zoho CRM als Single Source of Truth (SSOT)

Die wichtigste Entscheidung gleich zu Beginn: Lege fest, welche App das führende System für deine Stammdaten sein wird. In 99% der Fälle ist die Antwort: Zoho CRM. Warum? Weil hier alle kundenbezogenen Aktivitäten zusammenlaufen.

  • Kunden- & Lieferantenstämme: Alle Kontakte und Firmen werden ausschließlich im CRM angelegt und gepflegt.
  • Artikelstamm: Auch deine Produkte oder Dienstleistungen („Artikel“) sollten als Stammdaten im CRM-Modul „Produkte“ (das du umbenennen kannst) verwaltet werden.

Von dieser zentralen Datenquelle aus werden die Informationen automatisch mit anderen Zoho-Apps synchronisiert. Die Daten fließen also in eine Richtung:

Zoho CRM -> Zoho Inventory (für Lager & Logistik) & Zoho Books (für Buchhaltung & Finanzen)

Dieser Ansatz verhindert redundante Daten, Inkonsistenzen und sorgt für eine saubere Datenbasis im gesamten Unternehmen.

Schritt 2: Vorbereitung des Zoho CRM – Die Basis schaffen

Bevor du Daten importierst, musst du dein CRM vorbereiten. Oftmals sind zu Beginn nicht alle Module sichtbar, die du benötigst (z.B. „Anbieter“ oder „Produkte“). Dies liegt häufig an der Konfiguration der Ansichten oder der sogenannten „Team Spaces“.

  1. Module organisieren: Gehe in die Einstellungen zur Modul-Anpassung und stelle sicher, dass alle benötigten Module (Kontakte, Firmen, Anbieter, Produkte etc.) aktiv und für die relevanten Nutzerprofile sichtbar sind. Ordne sie in logischen Gruppen an (z.B. „Verkauf“, „Einkauf“).
  2. Terminologie anpassen: Benenne Module so um, wie dein Team es gewohnt ist. Aus „Products“ wird „Artikel“, aus „Vendors“ wird „Lieferanten“. Das erhöht die Akzeptanz enorm.
  3. Benutzerdefinierte Felder: Analysiere die Datenstruktur deines Altsystems. Welche Felder benötigst du zwingend? Erstelle diese als benutzerdefinierte Felder in den entsprechenden CRM-Modulen, um später alle relevanten Informationen importieren zu können.

Schritt 3: Der Datenexport aus dem Altsystem – Kreative Lösungswege

Das ist der Knackpunkt. Wenn der Anbieter nicht kooperiert, musst du selbst aktiv werden. Hier sind drei Eskalationsstufen:

  • Weg A: Der offizielle Weg (mit Nachdruck)
    Fordere schriftlich und mit Verweis auf die DSGVO (Recht auf Datenübertragbarkeit) einen maschinenlesbaren Export deiner Daten (CSV, XML, SQL-Dump). Oft bewegt sich ein Anbieter erst, wenn der Druck steigt. Manchmal gibt es versteckte oder undokumentierte Exportfunktionen, die nur der Support kennt.
  • Weg B: Die technische Untersuchung (Detektivarbeit)
    Verschaffe dir Zugang zum Server, auf dem das Altsystem läuft. In unserem Praxisbeispiel wurde bei der Untersuchung des Installationsverzeichnisses ein SQL-Server entdeckt, obwohl der Support behauptete, es gäbe keinen. Mit Tools wie dem SQL Server Management Studio (SSMS) oder DBeaver kannst du versuchen, eine Verbindung zur Datenbank herzustellen. Die Zugangsdaten findest du oft in Konfigurationsdateien (.ini, .xml, .config) im Anwendungsverzeichnis. Sobald du eine Verbindung hast, steht dem Export nichts mehr im Wege.
  • Weg C: Die Schnittstellen-Analyse (für Entwickler)
    Viele ältere Systeme bieten sogenannte COM-Schnittstellen an. Eine Recherche zur „Microtech BüroPlus COM-Aktiv-Schnittstelle“ zeigt, dass es eine dokumentierte API gibt. Über diese Schnittstelle kann ein Entwickler mit Skriptsprachen wie Python (mit dem Modul pywin32) oder via .NET eine Verbindung zur laufenden Anwendung herstellen und Daten systematisch abfragen und in eine CSV-Datei schreiben. Dies ist technisch aufwendiger, aber eine sehr mächtige Notlösung.

Sobald du die Daten als CSV-Dateien vorliegen hast, ist der Import in Zoho der nächste Schritt. Hier kannst du eine Custom Function in Zoho CRM nutzen, um die importierten Daten nachzubearbeiten oder zu validieren.

Codebeispiel: Deluge Custom Function zur Anreicherung importierter Kontakte

Stell dir vor, du importierst Kontakte und möchtest automatisch einen Nachfass-Task erstellen. Das kannst du mit einer Workflow-Regel tun, die diese Funktion auslöst.


// Funktion wird durch einen Workflow nach Erstellung eines Kontakts ausgelöst
// Argument: contactId - die ID des neu erstellten Kontaktdatensatzes

void createTaskForNewContact(int contactId)
{
    // Hole die Details des neu erstellten Kontakts
    contactDetails = zoho.crm.getRecordById("Contacts", contactId);
    
    // Prüfe, ob der Kontakt einer Firma zugeordnet ist
    if(contactDetails.get("Account_Name") != null)
    {
        contactName = contactDetails.get("Full_Name");
        accountName = contactDetails.get("Account_Name").get("name");
        
        // Definiere die Parameter für den neuen Task
        taskMap = Map();
        taskMap.put("Subject", "Neuen Kontakt qualifizieren: " + contactName);
        taskMap.put("Due_Date", zoho.currentdate.addDay(3));
        taskMap.put("What_Id", contactId); // Verknüpft den Task mit dem Kontakt
        taskMap.put("Owner", contactDetails.get("Owner").get("id")); // Weist den Task dem Kontakteigentümer zu
        taskMap.put("Description", "Bitte Erstkontakt aufnehmen und Bedarf für " + accountName + " ermitteln.");
        
        // Erstelle den Task in Zoho CRM
        createTaskResponse = zoho.crm.createRecord("Tasks", taskMap);
        info createTaskResponse;
    }
}

Schritt 4: Die Synchronisation im Zoho-Ökosystem einrichten

Sobald deine Stammdaten sauber im CRM sind, aktivierst du die nativen Integrationen. Unter Zoho One ist dies besonders einfach. In den Einstellungen von Zoho Books / Zoho Inventory gibt es einen Bereich zur Integration mit Zoho CRM. Aktiviere hier die Synchronisation für die Module Firmen, Kontakte und Artikel. Definiere das „Sync Mapping“, um die Felder korrekt zuzuordnen. Für komplexere Logiken, die über die Standard-Synchronisation hinausgehen, ist Zoho Flow dein Werkzeug der Wahl.

Schritt 5: Prozessdefinition – Wo passiert was?

Nach der technischen Einrichtung kommt der wichtigste Teil: die Definition der Arbeitsprozesse. Eine typische Frage aus der Praxis ist: „Ein Kunde ruft an und will fünf Filterkartuschen kaufen. Wie sehe ich im Verkauf, ob wir die auf Lager haben?“

Die Antwort liegt in der korrekten Nutzung der Apps:

  • Das Zoho CRM selbst zeigt keine Lagerbestände an. Es ist das System für die Kundenbeziehung.
  • Für diesen Anwendungsfall erstellt der Vertriebsmitarbeiter den Kundenauftrag (Sales Order) direkt in Zoho Inventory.
  • Beim Anlegen des Auftrags wird der Kunde aus dem synchronisierten CRM-Stamm ausgewählt. Bei der Auswahl des Artikels zeigt Inventory sofort den verfügbaren Lagerbestand, den reservierten Bestand und den Nachbestellungsstatus an.

Diese Trennung ist logisch: CRM für die Beziehung, Inventory für die operative Abwicklung. Die Schulung deiner Mitarbeiter auf diese neuen, klaren Prozesse ist entscheidend für den Erfolg.

Tipps und Best Practices

  • Datenbereinigung vor dem Import: Nutze die Migration als Chance, deine Datenqualität zu verbessern. Bereinige Dubletten, korrigiere Adressen und standardisiere Bezeichnungen, bevor du importierst. Tools wie Zoho DataPrep oder sogar Microsoft Excel können hier Wunder wirken.
  • Kommuniziere Blocker klar: Wenn ein externer Dienstleister den Fortschritt blockiert, kommuniziere dies klar und schriftlich an die Geschäftsleitung. Das entlastet dich vom Zeitdruck und macht das Problem transparent.
  • Skalierbare Automatisierung: Beginne einfach, aber denke in Automatisierungen. Du könntest zum Beispiel eine Custom Function in Inventory schreiben, die bei Unterschreitung eines Mindestbestands automatisch eine Bestellanforderung erstellt und eine Benachrichtigung an den Einkaufskanal in Zoho Cliq sendet.
  • Externe Systeme anbinden: Nutze Webhooks, um externe Systeme zu informieren. Wenn ein Paket in Zoho Inventory als „versendet“ markiert wird, könntest du einen Webhook an den API-Endpunkt eines Versanddienstleisters wie DHL oder an eine externe Logistik-Plattform senden.

Beispiel: JSON-Payload eines Webhooks aus Zoho Inventory


{
  "event_type": "shipment.created",
  "data": {
    "shipment_order": {
      "shipment_id": "89101112",
      "shipment_number": "SH-00123",
      "date": "2025-11-15",
      "customer_name": "Musterfirma GmbH",
      "shipping_address": {
        "street": "Hauptstrasse 1",
        "city": "Berlin",
        "zip": "10115",
        "country": "Germany"
      },
      "tracking_number": "JD0146000021543822",
      "carrier": "DHL"
    }
  }
}

Zusätzliche Potenziale und Erweiterungen

Sobald die Basis aus CRM, Inventory und Books steht, eröffnet sich das ganze Potenzial des Zoho-Ökosystems:

  • Business Intelligence: Verbinde deine Apps mit Zoho Analytics, um übergreifende Berichte zu erstellen. Analysiere zum Beispiel, welche Leads aus dem CRM zu den umsatzstärksten Verkaufsaufträgen in Inventory geführt haben.
  • Kundenservice: Integriere Zoho Desk. Servicetickets werden direkt im CRM-Kontakt angezeigt, sodass der Vertrieb immer über aktuelle Supportfälle informiert ist.
  • Personalverwaltung: Nutze Zoho People für die Personalakte und Zeiterfassung. Die erfassten Zeiten können direkt in Zoho Projects für die Projektkalkulation verwendet werden.

Fazit: Strategie schlägt technische Hürden

Die Migration von einem geschlossenen Legacy-ERP zu Zoho ist weniger ein technisches Problem als vielmehr eine strategische Aufgabe. Die größte Hürde ist oft der Widerstand des Altanbieters. Mit einer klaren Architektur, bei der Zoho CRM die zentrale Datenquelle ist, und der Bereitschaft, kreative technische Wege für den Datenexport zu gehen, kannst du den „Vendor Lock-in“ durchbrechen. Der Aufwand lohnt sich: Du gewinnst eine flexible, integrierte und skalierbare Plattform, die mit deinem Unternehmen wächst und dir die Hoheit über deine eigenen Daten und Prozesse zurückgibt.

Verwendete Zoho Apps in diesem Szenario: